H. Herkommer u.a. (Hrsg.): Engel, Teufel und Dämonen

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Titel
Engel, Teufel und Dämonen. Einblicke in die Geisterwelt des Mittelalters


Herausgeber
Herkommer, Hubert; Rainer, Christoph Schwinges; Marie-Claude, Pfaffen
Erschienen
Basel 2006: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
270 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Bern

«Auf dem Esoterik-Markt der Gegenwart haben die Engel Hochkonjunktur. Gleichzeitig beschwören düstere Satanskulte ihre teuflischen und dämonischen Gegenspieler herauf» (7). Mit diesen wohl absichtlich dramatisch zugespitzten Worten leiten die Herausgeber einen aus einer Ringvorlesung des Berner Mittelalter-Zentrums hervorgegangenen Sammelband ein, der den historischen Wurzeln von Engel-, Teufel- und Dämonenglauben nachgeht und eine Phänomenologie der angesprochenen Erscheinungen in sich birgt. Die qualitätvolle Bebilderung tut das Ihre, um die Geistwesen, welche die mittelalterliche Vorstellungswelt bevölkerten, vor unseren Augen auferstehen zu lassen. Dass dabei die Epochengrenzen – von der Sache her – nicht in Stein gemeisselt sind, wird nirgendwo klarer als im Beitrag von Karénina Kollmar-Paulenz zum Teufel- und Dämonenglauben in Tibet und der Mongolei. Tatsächlich erweist es sich als «unmöglich, für Tibet und die Mongolei eine dem europäischen Mittelalter analoge Epoche, die von denselben Sinnkriterien bestimmt wird, zu konstruieren» (54–55). Entsprechend erläutert die Autorin noch heute gültige und beobachtbare Dämonenvorstellungen, die vor dem Hintergrund eines verblüffenden Paradoxes zu sehen sind: Auf der einen Seite hat der tibetische und mongolische Buddhismus eine reiche Gottheitenwelt mit einer «erstaunlichen Vielfalt schreckenerregender Gestalten» (55) hervorgebracht; auf der andern Seite kommt – auf der Ebene der absoluten Wahrheit – «weder der menschlichen Existenz [...] noch den Gottheiten, Geistern und Dämonen irgendeine Form von Eigenexistenz zu» (56).

Religionsgeschichtlich liegen dem Christentum die beiden anderen mosaischen Religionen, das Judentum und der Islam, näher als der Buddhismus. In der jüdischen Glaubenstradition treten Engel, Clemens Thoma zufolge, als «Lobpreiser Gottes» und «Beschützer der Menschen» auf, Teufel und Dämonen hingegen als «abgefallene Engel sowie Mischlinge aus dieser Engelssorte und boshaften Menschen» (40). Was den Islam betrifft, so hält Johann Christoph Bürgel eingangs fest, dass der Dämonenglaube «in der islamischen Welt ausserordentlich verbreitet» ist (43). In der Folge konzentriert er sich dann aber auf die Rolle der Dämonen als inspirierende Einflüsterer von Dichtern. Rainer Christoph Schwinges geht in seinem Beitrag auf den «Clash» des Christentums mit dem «Heidentum» und dem – im Mittelalter vom Heidentum nicht unterschiedenen – Islam im Zuge der christlichen Missionsbewegung ein.

Dass die grossen europäischen Hexenjagden der Frühen Neuzeit ihre Wurzeln im Spätmittelalter hatten, wobei sich gerade unser Land als äusserst fruchtbarer Nährboden für den aufkeimenden Hexenstereotyp erweist, ist mittlerweile bekannt: Oliver Landolt bietet in seiner Arbeit zu «Zauberwahn und Hexenverfolgung in der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft» eine kompetente Zusammenfassung, wobei er eine Brücke von Ketzer- und Zaubereiprozessen zu Judenverfolgungen schlägt. Unverständlich ist nur, dass er in Bezug auf das Waadtland, das in Hexensachen eine besonders verfolgungsintensive Gegend war und das in den letzten zwanzig Jahren ausnehmend gut erforscht worden ist, auf einen völlig veralteten Aufsatz von Maxime Reymond aus dem Jahr 1908 (!) rekurriert. Mit der Genese des Hexenglaubens untrennbar verbunden ist der 1486/87 erstmals gedruckte Hexenhammer. Der bereits zuvor als Hexenhammer-Spezialist hervorgetretene André Schnyder offeriert anhand der Teufelsvorstellungen im Hexenhammer einen Einblick in den komplexen Traktat, wobei er von einer wie auch immer gearteten Doppelautorenschaft von Heinrich Kramer und Jakob Sprenger ausgeht, die von der Forschung mit durchaus valablen Argumenten in Frage gestellt worden ist.

Einen Schritt von der Dämonologie ins mittelalterliche Alltagsleben macht Katharina Simon-Muscheid, die sich des Friedhofs als Ort der Begegnung angenommen hat. Diese Begegnungen konnten ausgesprochen handfeste Formen annehmen, wie sich durch die wiederholten Verbote gegen das auf Friedhöfen offenbar übliche Tanzen, Spielen, Handeltreiben und Trinken erschliessen lässt. Um imaginäre Räume geht es bei Ricarda Liver, die ihr Publikum auf eine Reise durch Dantes Hölle, Fegefeuer und Himmel führt. Dass der Beitrag inhaltlich eher lose mit dem Rahmenthema verbunden ist, liegt daran, dass er ursprünglich für eine andere Ringvorlesung konzipiert worden ist.

Mit getrockneten Krokodilen hat sich Johannes Tripps beschäftigt: Als eine Art Trophäen, welche den Sieg über das Böse verkörpern sollten, wurden die mumifzierten Reptilien in Kirchen aufgehängt. Der Autor liefert eine Bestandesaufnahme, wobei er auch in Prozessionen mitgeführte Drachenbanner bzw. -figuren einbezieht, deren Symbolik analog ist. Werner Wunderlich präsentiert der Leserschaft in einem anderen kulturgeschichtlichen Abriss einen Überblick über die im Wasser heimischen weiblichen Wunderwesen, die als antike Nymphen und mittelalterliche Nixen eine überaus ambivalente Beziehung zu den männlichen Vertretern des Menschengeschlechts pflegten. Als Melusine, Undine oder slawische Rusalka haben sie weit über das Mittelalter hinaus Dichter und Musiker inspiriert. Lässt sich im Zusammenhang mit der Reformation von einer «Entzauberung» des Alltags sprechen, so weist Milène Wegmann darauf hin, dass bereits im 12. und 13. Jahrhundert eine als «Entdeckung» bzw. «Entsakralisierung» der Natur zu bezeichnende Tendenz zu beobachten ist: «Die Natur wurde in ihrer profanen Wirklichkeit entdeckt» (163). Daraus geht implizit ein Bedeutungsverlust für Engel und Dämonen hervor, der jedoch ausführlicher hätte diskutiert werden können.

Mit eher sinnlichen Aspekten der Gesamtthematik haben sich Therese Bruggisser- Lanker und Hubert Herkommer beschäftigt, Erstere mit der Einsiedler Engelweihfeier, Letzterer allgemeiner mit der sinnlichen Wahrnehmung von Engeln und Teufeln. Den chronologisch spät angesetzten Schlusspunkt zu diesem weit ausholenden, die thematische Breite privilegierenden Band, der durch ein Orts-, Namen- und Sachregister erschlossen wird, setzt Oskar Bätschmann: Von Paul Klees «Angelus Novus» aus dem Jahr 1920 ausgehend, zieht er eine Reihe von Linien durch die Kunst- und Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Hubert Herkommer/Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Marie-Claude Pfaffen (Red.), Engel, Teufel und Dämonen. Einblicke in die Geisterwelt des Mittelalters, Basel, Schwabe, 2006. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 105, 2011, S. 540-542.

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